Globale Verantwortung für lokale Risiken

Nicht nur beim Klima sondern auch beim Kupfer

Rückhaltebecken von Żelazny Most, Polen
Bildquelle: creative commons

Das insgesamt recht bescheidene Ergebnis der über zwei Wochen andauernden Klimakonferenz in Scharm El-Sheikh lässt sich knapp zusammenfassen: Verursacher des Klimawandels sollen zahlen, Geschädigte werden entschädigt. Industrienationen zahlen Geld in einen Topf, der dann ärmeren Ländern für Reparaturen von Klimafolgeschäden zur Verfügung stehen soll. Die Details sind noch unklar, die Idee aber endlich allgemein anerkannt – Stichwort Klimagerechtigkeit.

Das gleiche Prinzip ließe sich auch auf physische Ressourcen anwenden, wie zum Beispiel Metalle. Hier sind die negativen Folgen des Konsums allerdings meist weniger sichtbar wie inzwischen beim Klima. Während für Treibhausgase in den meisten Ländern der inländische Anteil den Fußabdruck dominiert, zum Beispiel das CO2 aus der Kohleverstromung [1], entsteht bei Metallen ein Großteil der Umweltauswirkungen entlang einer globalen Wertschöpfungskette.

Am Anfang vieler solcher Wertschöpfungsketten steht die Bergbauindustrie mit ihrer bekanntlich langen Reihe von Problemen, insbesondere die Zerstörung von Lebensräumen, die illegitime Aneignung von Flächen und Kinderarbeit. Und dann ist da noch das Müllproblem: Wegen abnehmender Erzqualität werden pro Tonne Metall immer größere Mengen Erz abgebaut, in aufwendigen chemischen Verfahren voneinander getrennt und in flüssiger Form (englisch: tailings, siehe Kasten) gelagert. Dammversagen in dafür notwendigen Rückhaltebecken gilt deshalb als das größte Umweltrisiko der Branche [2]. Allein im Jahr 2022 gab es weltweit fünf bestätigte Dammbrüche mit mehreren Toten, vielen Verletzten und weitreichenden Umweltschäden [3].

Tailings sind die schlammartigen, oftmals giftigen Abfälle der Bergbauindustrie. Riesige, sogenannte Rückhaltebecken dienen als Lagerort auf unbestimmte Zeit. Die notwendigen Dämme werden aus losem Material aufgeschüttet und verdichtet. Die Betonbauweise, wie zum Beispiel bei Stauseen üblich, wäre hierfür zu teuer.

Nach Eisen und Aluminium ist Kupfer das mengenmäßig drittwichtigste Metall, trotzdem ensteht der Großteil von 46 Prozent aller Tailings bei der Kupfergewinnung [4]. Deshalb wurden Risiken im Kupferbergbau und deren Verflechtung in globale Lieferketten zum Fokusthema unserer vor Kurzem erschienenen Studie [5]. Dämme brechen aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel bei Extremwetterereignissen und Erdbeben aber auch wegen schlechter Planung und Wartung. Wir haben es also nicht mit unvorhersehbarem Unglück sondern vielmehr mit einem systemischen Risiko zu tun. Das Problem ist prinzipiell vermeidbar durch verantwortungsvolles und ganzheitliches Risikomanagement, Investitionen in Sicherheit sowie entsprechende Gesetze und Kontrollen. Informationen über den Zustand von Dämmen werden von den Betreibern meist nicht veröffentlicht, leidtragend ist im Schadensfall aber vorallem eine kaum informierte lokale Bevölkerung. Kurzum, es fehlt an Governance.

Natürlich gibt es bereits Initiativen und Leitfäden zum sicheren Management von Rückhaltebecken [2,6]. Die bisherige Praxis fokussiert sich jedoch meist auf den Damm selbst, kaum auf äußere Risikofaktoren wie Starkregen, Erdbeben und Frost. Wie könnte ein ganzheitlicher Ansatz aussehen und wie lassen sich derart komplexe Risiken überhaupt quantifizieren?

Risiko gilt allgemein als das Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Folgen. Letztere setzen sich zusammen aus: erstens einer naturbedingten oder menschgemachten Gefahr (englisch: hazard), zweitens der räumlichen Exposition (exposure) von Mensch, Natur oder Wirtschaftsgütern gegenüber dieser und drittens deren Verwundbarkeit (vulnerability), also das Vorhandensein oder die Abwesenheit entsprechender Schutzmaßnahmen, Evakuierungspläne und Backupsysteme.

Für den Anfang und mangels detaillierter, dammspezifischer Daten an Kupferminenstandorten haben wir uns auf messbare Naturgefahren beschränkt, genauer gesagt auf starken Niederschlag, Erdbeben, Frostzyklen, zerklüftetes Terrain und tropische Wirbelstürme. Zusätzlich nehmen wir die Oberfläche der Rückhaltebecken als Näherungsgröße für die potentiell freigesetzte Menge an Tailings. Unser Modell verteilt Werte zwischen Null und Eins für jede Naturgefahr an jedem Kupferminenstandort im Datensatz und addiert diese anschließend auf.  Abbildung 1 fasst die  Werte für alle Rückhaltebecken innerhalb einer Region zusammen, wobei jede Mine mit ihrem Anteil an der Gesamtproduktion gewichtet ist. Entlang der Anden und Rocky Mountains sind die modellierten Gefahren vergleichsweise hoch, da hier die Indikatoren für Erdbeben und zerklüftetes Terrain besonders große Werte erreicht haben.

Abbildung 1: Regional aggregierte Gefahrenbewertung. Ein theoretisches Maximum von 6 wäre möglich, wenn alle Kupferminen bzw. Rückhaltebecken einer Region den Maximalwert von Eins in allen sechs Unterkategorien erreicht hätten und keine Nebenprodukte produzieren.

Unser Modell ist natürlich keineswegs umfassend aber bewusst einfach und möglichst transparent. Wir liefern einen Ansatz zur Erstbewertung von Risiken und orientieren uns dabei an bestehenden Arbeiten [7–10]. Leider mangelt es vielen Bergbauunternehmen selbst an Expertise zur Bewertung komplexer Risiken. Enorme Investitionen wären nötig, um oftmals über viele Jahrzehnte gewachsene, marode Dämme gründlich zu sanieren. Es steht außer Frage, dass Vale, BHP, Rio Tinto und Co hier in der Pflicht stehen. Man macht es sich aber wahrscheinlich etwas zu leicht, die Verantwortung allein auf die Produzenten abzuwälzen, während Unternehmen und Konsumenten in Industrienationen von günstigen Rohstoff- bzw. Kupferpreisen profitieren. Die eigentlichen Kosten und Umweltauswirkungen werden hier, wie so oft, externalisiert. Was also, wenn Investitionen in Sicherheit anteilig des Ressourcenfußabdrucks verschiedener Länder oder Industriezweige getätigt würden, ähnlich wie beim Klimafond?

Theoretisch alle Unternehmen betroffen – ein Gedankenexperiment

Das neue Lieferkettengesetz enthält mit der unternehmerischen Sorgfaltspflicht einen möglicherweise zentralen Hebel für derartige Ausgleichszahlungen. Dem Gesetz zufolge müssen deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern ab 2023 (1000 Mitarbeiter ab 2024) aktiv die erste Stufe ihrer Lieferkette, also direkte Zulieferer, auf Menschenrechtsverletzungen überprüfen. Bei indirekten Zulieferern müssen Unternehmen dann aktiv werden, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht […] möglich erscheinen lassen“, eine Risikoanalyse durchführen sowie „angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher […] verankern, etwa die Durchführung von Kontrollmaßnahmen, die Unterstützung bei der Vorbeugung und Vermeidung eines Risikos oder die Umsetzung von branchenspezifischen oder branchenübergreifenden Initiativen“. Außerdem muss „ein Konzept zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung“ erstellt und umgesetzt werden.

Wenn also Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Dammversagen nachgewiesen werden können, z.B. durch fahrlässige Gefährdung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser, wären grundsätzlich alle Lieferketten in denen das dort abgebaute Material enthalten ist betroffen. Hier sind auch indirekt enthaltene Materialien miteinbezogen, z.B. Kupfer aus Chile in landwirtschaftlichen Maschinen aus den USA die für den Anbau von Exportsoja in Brasilien genutzt werden. Im Fall eines Dammversagens einer Kupfermine gilt die Sorgfaltspflicht demnach auch für Unternehmen, die vordergründig nichts mit Kupfer zu tun haben, sondern zu dessen Konsumenten gehören. Hinter jedem Produkt und jeder Dienstleistung steht also nie eine einzelne Lieferkette, sondern vielmehr ein hochkomplexes Geflecht daraus, ein Liefernetzwerk. Die Grundvoraussetzung für eine konsequente Umsetzung der Sorgfaltspflicht ist daher, dieses Liefernetzwerk und seine globalen Abhängigkeiten sichtbar zu machen. Eben diese Verknüpfung von Ressourcenabbau und Endverbrauch liefert der Material-Fußabdruck. Ähnlich wie beim CO2-Fußabdruck wird ein umweltrelevanter Stressor (hier: Erzabbau statt CO2-Emissionen), ausgehend vom Endverbrauch eines Landes mit den dafür nötigen, globalen wirtschaftlichen Aktivitäten skaliert. Anders ausgedrückt: Der Material-Fußabdruck hilft uns nachzuvollziehen, woher das Kupfer in den von uns bezogenen Gütern ungefähr kommt (Abbildung 2). Der Endverbrauch der EU wird beispielsweise zu rund 38 Prozent mit Kupfer aus europäischer Produktion gedeckt, etwa 16 Prozent kommen aus Chile und Peru, 13 Prozent aus den USA.

Abbildung 2: Konsumbasierter Kupfererz-Fußabdruck der Europäischen Union nach Abbauregion. Insgesamt wurden 2015 etwa 150 bis 165 Megatonnen Kupfererz aus über 16 Regionen extrahiert um den Endverbrauch der EU zu bedienen. Kritische Leser:innen werden die Genauigkeit solcher Zahlen zu Recht in Frage stellen: Die Aussagekraft einzelner Prozentwerte darf nicht überbewertet werden, die absoluten und relativen Größenverhältnisse kommen aber hin. Ländercodes: RoAm (Rest von Amerika, hier: Chile und Peru), US (Vereinigte Staaten), RoAP (Rest von Asien and Pazifik), BR (Brasilien), RoAf (Rest von Afrika), CN (China), CA (Kanada), AU (Australien), ID (Indien), RU (Russland), MX (Mexico), ZA (Südafrika), IN (Indonesien).

Der Material-Fußabdruck fasst sämtliche materialverarbeitende Betriebe einer Volkswirtschaft in zehn Sektoren zusammen und liefert somit nur eine grobe Schätzung. Es ist aktuell nicht möglich, die tatsächliche Herkunft einer Liefereinheit bis zu einer bestimmten Mine oder Region zurückzuverfolgen, da Kupfer auf dem internationalen Markt gehandelt wird. In Abbildung 1 sehen wir, dass die nach unserem Indikator gefährlichsten Minen (wissenschaftlich: die Minen mit dem höchsten Gefahrenpotential hinsichtlich Naturkatastrophen) in Chile, Peru und Mexiko liegen. Diese Information alleine hat jedoch wenig Relevanz für europäische Akteure, die sich für eine risikoarme Lieferkette engagieren möchten. Wenn wir aber unsere regionale Gefahrenbewertung mit dem aggregierten europäischen Kupferfußabdruck gewichten, ergibt sich ein neues Bild: Europa ist ein Gefahrenhotspot in seiner eigenen Kupferlieferkette (Abbildung 3)!

Abbildung 3: Gefahren Hotspots für Kupfer in den Lieferketten des europäischen Endverbrauchs. Hohe Werte (theoretisches Maximum = 6) bedeuten, dass das Produkt aus direkt und indirekt importiertem Kupfer und dem damit behafteten Risiko vergleichsweise groß ist.

Aus genaueren Betrachtungen des Fußabdrucks und aus Jahresberichten der Bergbauunternehmen wissen wir, dass die 38 Prozent europäisches Kupfer aus Abbildung 2 zu wiederum knapp 30 Prozent aus Polen kommen. Drei Minen teilen sich hier Europas größtes Rückhaltebecken. Ihr Kupfer wird, zumindest statistisch gesehen, fast ausschließlich in europäischen Lieferketten verwendet. Unseren Überlegungen zufolge, wäre hier also ein guter Startpunkt für europäische Firmen, die sich für Risikominimierung in ihrer Kupferlieferkette einsetzen möchten.

Nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum

Kupfer wird in absehbarer Zeit zwar nicht knapp werden [11], allerdings könnte dessen Verfügbarkeit zukünftig durch inakzeptable Bergbaurisiken limitiert werden [9,12,13]. Eine Möglichkeit hier entgegenzuwirken besteht darin, die Nachfrage zu reduzieren, also weniger zu verbrauchen und Materialkreisläufe zu schließen. Allerdings würden weltweite Urbanisierung, Energiewende und das Streben einer wachsenden globalen Mittelschicht nach dem westlichen Konsummodell notwendigerweise den weiteren Einsatz von Primärmetallen erfordern. Es braucht also eine breite Perspektive die sowohl den Konsum als auch die Herstellung von Kupfer miteinschließt: auf der Nachfrageseite durch sparsame Verwendung und auf der Produktionsseite in Form von Risikominimierung und Geld für Reparationen im Schadensfall. Schlussendlich profitieren Unternehmen und letztendlich Konsument:innen in Ländern mit hohem Einkommen vom Zugang zu günstigen Metallen. Es liegt also nahe, sie an den bislang externalisierten Kosten zu beteiligen. Dieser Gerechtigkeitsgedanke hat auf der letzten Klimakonferenz – zumindest im Ansatz – an Auftrieb gewonnen. Es könnte und sollte in Zukunft also verstärkt darum gehen, lokale Risiken wie Überschwemmungen, Dürren und möglicherweise auch Dammbrüche solidarisch einzudämmen und abzufedern.

Literatur

  1. Hertwich, E.G.; Peters, G.P. Carbon footprint of nations: a global, trade-linked analysis. Environ. Sci. Technol. 2009, 43, 6414–6420, doi:10.1021/es803496a .
  2. Roche, C., Thygesen, K., Baker, E. Mine Tailings Storage: Safety Is No Accident: A UNEP Rapid Response Assessment., Nairobi and Arendal, 2017. Available online: https://www.grida.no/publications/383 (accessed on 15 October 2022).
  3. WISE uranium project. Chronology of major tailings dam failure. Available online: https://www.wise-uranium.org/mdaf.html (accessed on 8 November 2022).
  4. Oberle, B., Brereton, D., Mihaylova, A. Towards Zero Harm: A Compendium of Papers Prepared for the Global Tailings Review, St Gallen, Switzerland, 2022. Available online: https://globaltailingsreview.org/. (accessed on 15 October 2022).
  5. Nungesser, S.L.; Pauliuk, S. Modelling Hazard for Tailings Dam Failures at Copper Mines in Global Supply Chains. Resources 2022, 11, 95, doi:10.3390/resources11100095 .
  6. Global Tailings Review. Global Industry Standard on Tailings Management, 2020. Available online: https://globaltailingsreview.org/global-industry-standard/ (accessed on 17 September 2022).
  7. Owen, J.R.; Kemp, D.; Lèbre, É.; Svobodova, K.; Pérez Murillo, G. Catastrophic tailings dam failures and disaster risk disclosure. International Journal of Disaster Risk Reduction 2019, 42, 101361, doi:10.1016/j.ijdrr.2019.101361 .
  8. Kovacs, A.; Lohunova, O.; Winkelmann-Oei, G.; Mádai, F.; Török, Z. Safety of the Tailings Management Facilities in the Danube River Basin: Technical report 118221, Dessau-Roßlau, Germany, 2020. Available online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2020_11_30_texte_185-2020_danube_river_basin_0.pdf (accessed on 22 September 2022).
  9. Valenta, R.K.; Kemp, D.; Owen, J.R.; Corder, G.D.; Lèbre, É. Re-thinking complex orebodies: Consequences for the future world supply of copper. Journal of Cleaner Production 2019, 220, 816–826, doi:10.1016/j.jclepro.2019.02.146 .
  10. Lèbre, É.; Stringer, M.; Svobodova, K.; Owen, J.R.; Kemp, D.; Côte, C.; Arratia-Solar, A.; Valenta, R.K. The social and environmental complexities of extracting energy transition metals. Nat. Commun. 2020, 11, 4823, doi:10.1038/s41467-020-18661-9 .
  11. Mudd, G.M.; Weng, Z.; Jowitt, S.M. A Detailed Assessment of Global Cu Resource Trends and Endowments. Economic Geology 2013, 108, 1163–1183, doi:10.2113/econgeo.108.5.1163 .
  12. Lèbre, É.; Owen, J.R.; Corder, G.D.; Kemp, D.; Stringer, M.; Valenta, R.K. Source Risks As Constraints to Future Metal Supply. Environ. Sci. Technol. 2019, 53, 10571–10579, doi:10.1021/acs.est.9b02808 .
  13. Northey, S.; Mohr, S.; Mudd, G.M.; Weng, Z.; Giurco, D. Modelling future copper ore grade decline based on a detailed assessment of copper resources and mining. Resources, Conservation and Recycling 2014, 83, 190–201, doi:10.1016/j.resconrec.2013.10.005 .

One thought on “Globale Verantwortung für lokale Risiken

  1. Auch wenn ich nicht alles im Detail (z.B. die Grafiken) verstanden habe finde ich den Sachverhalt sehr verständlich erklärt und gut geschrieben (Stil!) Er macht anschaulich die Komplexität des Themas Lieferketten deutlich, zeigt aber auch auf, was getan werden sollte um positive Veränderungen zu erreichen.

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