Warum ist es so wichtig, Plastikverpackungen zu vermeiden?

Das frage ich mich allerdings auch! Eine Journalistikstudentin stellte mir diese Frage für ein Feature über plastikfreies Leben. Ich kann diese Frage weder konkret beantworten, weil sie eine vermeintlich richtige Antwort impliziert, die ich nicht kenne, noch unkommentiert stehen lassen, weil sie exemplarisch zeigt, dass sich Nachhaltigkeit (leider) nicht auf einfache Formeln wie ‚plastikfrei leben‘ herunterbrechen lässt.

Die relevanten Intentionen hinter einer solchen Vermeidung und damit auch der Frage sind a) ein allgemein nachhaltiger(er) Lebensstil und b) ein konkreter Beitrag zur Reduktion von Plastikmüll und den damit verbundenen sozialen und Umweltproblemen.

Als Wissenschaftler würde ich diese Frage in zwei Schritten angehen. Erstens: Was bringt das Vermeiden von Plastikverpackungen? (im Sinne von: welche quantitativen Effekt auf die Umwelt hätte das?), und zweitens: Wie wichtig ist die Vermeidung (im Angesicht der Effekte)?

Richtig ist, dass ich durch Vermeiden einer (jeder) Konsumhandlung (und der damit verbundenen Verpackung) natürliche Ressourcen schone [1]. Dafür habe ich aber auch keinen Nutzen. Diese Art von Verzicht nennt man Suffizienz. Ich kaufe etwas, das ich eigentlich gar nicht brauche, nicht. Suffizienz ist, in Anbetracht der massiven globalen Umweltzerstörung durch unsere Industriegesellschaft und der Langsamkeit der Implementierung der verschiedenen Nachhaltigkeitsstrategien, die Königsdisziplin der Nachhaltigkeit.

Wenn ich hingehen das Produkt, aber keine Plastikverpackung will, stellen sich folgende Fragen:

  • Welche Verpackung stattdessen? Papiertüten haben oft eine schlechtere Ökobilanz, da schwerer und mehr Ressourcenaufwand [2]. Mehrwegverpackungen sind schwerer, da stabiler, können aber sehr oft wiederverwendet werden. Hier kommt es auf die Details wie Transportabstände an. Viele Akteure wie das UBA haben hierfür Übersichten und Hinweise zusammengestellt [2a].

  • Keine Verpackung? Viele Produkte benötigen gar keine Verpackung, sie bringen (z.B. viele Obst- und Gemüsesorten) bereits eine mit. Eine zusätzliche Verpackung erfolgt aus Gründen der Bequemlichkeit (Ware ist schnell im Einkaufskorb und über die Kasse gezogen) und zur Verkaufsförderung. Andere Produkte (z.B. Öl oder manche Käsesorten) sind ohne Verpackung gar nicht lager- oder transportierfähig. Keine Verpackung kann auch bedeuten: u.U. kürzere Haltbarkeit von Produkten und tendenziell mehr Nahrungsabfall. Es gibt ja einen Grund, warum Verpackungen genutzt werden [1], und Plastik geht ja im Idealfall auch ins Recycling.

Es kommt also auf den Einzelfall an, und Pauschalantworten in Richtung „kein Plastik in der Verpackung“ sind wissenschaftlich nicht begründbar.

Soviel zum Hintergrund. Ich würde bei Konsumentscheidungen eine breitere Perspektive einnehmen, und nicht bei der Plastikverpackung starten:

  1. Brauche ich X überhaupt? (Die Frage stellt sich in ärmeren Ländern nicht, aber in Überflussgesellschaften wie der unseren ist das ein guter Ausgangspunkt).
  2. Wie relevant ist die Verpackung für die Umweltbilanz von X? In der Regel hat nämlich der Inhalt eine viel größere Umweltbelastung als die Verpackung [1]. Z.B. Plastikfolie um neues Auto: Egal. Anders sieht es bei kleineren Produkten wie Nahrungsmitteln aus, z.B. fettes Einwegplastik höchster Qualität für ein bissel Backwaren im Supermarkt: hier haben wir einen Hotspot und Hebel.
  3. A) Wenn Verpackung relevant für die Ökobilanz und die Wahl fällt auf „Ohne Verpackung“: Gibt es andere Umweltnachteile, evtl. nicht direkt erkennbare? Z.B. wenn extra für den Unverpacktladen eine Kiste unverpackte Gurken quer durchs Land gefahren wurde, ist die Umweltbilanz auch hin… Oder fahre ich extra wegen zwei Gurken und ein ruhiges Gewissen quer mit dem Auto durch die Stadt? Dann doch lieber Supermarkt um die Ecke. Oder kann der Unverpacktladen etablierte und effiziente Logistikstrukturen mit nutzen? Hier hilft nachfragen.
  4. B) Wenn Verpackung relevant für die Ökobilanz und die Wahl fällt auf „mit Verpackung“ (trifft auf den größten Teil aller Nahrungsmitteleinkäufe zu):
  • Darauf achten, dass die Verpackung nicht obszön ausfällt (also z.B. einfach verpackte Süßigkeiten und nicht solche mit Doppel- oder Dreifachverpackung [1]
  • Mehrwegverpackungen und aus Rezyklat hergestellte Verpackungen bevorzugen [1]
  • Verpackung evtl. selbst wiederverwerten, z.B. kann ich manche Kunststofftüten noch zum Einkaufen nehmen oder irgendwas drin aufbewahren.
  • Verpackung anschließend im gelben Sack entsorgen, und zwar (wichtig! Nach Materialien getrennt: also Aludeckel vom Plastikbecher abziehen, Kunststofffolie von der Papiernudelverpackung abziehen und getrennt entsorgen), und halbwegs sauber (also gut ausgelöffelte Joghurtbecher, Auswaschen muss nicht sein, da wieder neuer Wasser- und Energieverbrauch). Beides (Trennung nach Materialien und Sauberkeit) erhöht die Recyclingchancen sehr.
  • Keine schwarzen Kunststoffe kaufen, die können aufgrund des für die Farbe verantwortlichen Rußanteils in den automatischen Sortieranlagen nicht erkannt werden. [3]

Das Thema Plastikverpackungen und deren Umweltauswirkungen eignet sich sehr gut als Einstieg in des Thema Nachhaltigkeit. Durch bewussteren Konsum und gute Abfalltrennung kann man nicht nur Umweltbelastungen reduzieren, sondern auch eine neue Wertschätzung für die gekauften Güter (und deren Verpackungsmaterialien) erfahren. Der verschwenderische Umgang mit natürlichen Ressourcen durch übermäßigen Einsatz von Plastik hat in einer nachhaltigen Industriegesellschaft keinen Platz, genauso wenig wie der verantwortungslose Umgang mit Kunststoffabfällen, der massive Umweltprobleme verursacht.

Eine wirklich gangbare und auch effektive Nachhaltigkeitsstrategie ist das plastikfreie Leben jedoch nicht, dafür haben Kunststoffe im modernen Leben zu viele Vorteile und es gibt für einen umweltfreundlichen Lebensstil deutlich wichtigere Hebel als Kunststoffverpackungen. Hier sind vor allem ‚die großen Vier‘ zu nennen: autofrei leben, keine übergroßen und überheizten Wohnungen, weniger Fleisch und weniger fliegen.

Wir müssen aufpassen, dass der Fokus auf Plastikverpackungen nicht zu einer nicht besonders relevanten Ersatzhandlung verkommt, wie z.B. das Beziehen von ‚Ökostrom‘ [4], sondern als Einstieg in die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema ‚nachhaltig Leben‘ dient.

 

Links (Zugriff erfolgte am 13.1.21)

[1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/produktverantwortung-in-der-abfallwirtschaft/verpackungen/fragen-antworten-verpackungen-verpackungsabfaelle#3-vermeidung-von-verpackungsabfallen

[2] https://www.br.de/radio/bayern1/inhalt/experten-tipps/umweltkommissar/umwelt-plastik-papier-tuete-100.html

[2a] https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/essen-trinken/mehrwegflaschen#gewusst-wie

[3] https://www.mdr.de/mdr-thueringen/redakteur-schwarzer-kunststoff-plastik-recycling100.html

[4] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/preise-tarife-anbieterwechsel/ist-ein-tarif-mit-oekostrom-und-oekogas-ueberhaupt-sinnvoll-8207

 

One thought on “Warum ist es so wichtig, Plastikverpackungen zu vermeiden?

  1. “wenn extra für den Unverpacktladen eine Kiste unverpackte Gurken quer durchs Land gefahren wurde, ist die Umweltbilanz auch hin… ” ? Wieso ist das ein Argument, die werden doch sowieso quer durchs Land gefahren? Und schonmal was von Wochenmarkt gehört? Dort gibt es häufig unverpacktes regionales Gemüse, wie schon zu Oma’s Zeiten.

    “und Plastik geht ja im Idealfall auch ins Recycling.” Achja, genau so haben es mir die Materialwissenschaftler an der Uni auch verklickert – “Ist gar kein Problem, das wird alles energetisch verwertet”, also “sauber” verbrannt. Die Realität sieht leider anders aus https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/abfall-und-recycling/26205.html

    “kürzere Haltbarkeit von Produkten und tendenziell mehr Nahrungsabfall” also mit anderen Worten der Konsument ist zu dumm dafür? Dieses Argument kennt man von den PR Abteilungen der Plastikindustrie. Ich denke, dass gerade durch die Auseinandersetzung mit der Frage der Verpackung und der ökologisch nachhaltigen Nahrung das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln erzeugt und wer durch drei Reifen hüpft, um an unverpacktes Gemüse zu kommen wird den Teufel tun, es im Anschluss verschimmeln zu lassen.

    Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, auch ökologische Praxis zu hinterfragen und die Suffizienz ist sicherlich die Königsdisziplin aber mit “dafür haben Kunststoffe im modernen Leben zu viele Vorteile” ist der Sache wenig gedient. Atomkraftwerke haben im modernen Leben auch zu viele Vorteile aber die sind böse, da sind sind sich alle einig.

    Natürlich sind so Öko-Bürgis, die “extra wegen zwei Gurken und ein ruhiges Gewissen quer mit dem Auto durch die Stadt [fahren]” nicht hilfreich aber da bezieht man sich schon auf eine sehr schmale (Freiburg-spezifische?) Gruppe von Menschen und trägt wenig zum Diskurs auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bei.

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