Ist weniger mehr? Wie wir den Klimawandel bremsen können, indem wir Materialien besser nutzen.

Klimafreundliche Technologien und Lebensstile? Na logo: Elektroautos, Passivhäuser, Solarzellen auf dem Dach, weniger Fleisch, mehr Rad fahren. Als Endverbraucher hat man eine große Auswahl an Möglichkeiten, den Klima-Fußabdruck zu senken. Anderswo ist es nicht so einfach. Teile der Wirtschaft haben große Probleme, auf klimafreundliche Technologien und Prozesse umzusteigen. Dies betrifft insbesondere die Hersteller von wichtigen Materialien wie Stahl, Kunststoffen oder Zement.

Warum ist das so? Der Grund liegt darin, dass die derzeit wichtigsten Möglichkeiten, die Klimaauswirkung zu senken, für die Hersteller dieser Materialien gar nicht oder nur sehr eingeschränkt umzusetzen sind:

  • Emissionseinsparung durch Energieeinsparung (Energieeffizienz), z.B. durch bessere Isolierung von Produktionsanlagen, um Wärmeverluste zu verhindern oder Verkürzung von Wartungsintervallen. Hier ist für die Materialproduzenten nicht mehr viel zu holen. Vor allem, weil Energiekosten seit jeher einen großen Kostenfaktor darstellen und somit die meisten Einsparpotentiale für Energie bereits ausgeschöpft sind.
  • Emissionseinsparung durch Verwendung von Ökostrom als Energielieferant: In der Stahl- und Zementherstellung kommen seit jeher Kohle und Erdgas als Energiequelle zum Einsatz. Eine Umstellung auf Strom würde völlig neue Technologien erfordern, die einen kompletten Umbau dieser Industrien notwendig machen. Teilweise müssen dafür neue Technologien überhaupt erst entwickelt werden. Außerdem würde die Herstellung vieler Materialen, z.B. von Roheisen aus Eisenerz durch Reduktion mit Wasserstoff aus Ökostrom, deutlich teurer werden. Auch wenn die Langfriststrategie dieser Industrien die Umstellung auf Ökostrom vorsieht, ist jetzt schon absehbar, dass dieser Prozess noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Mittelfristig ist Ökostrom also keine Option für die Hersteller von Stahl aus Eisenerz, Kunststoffen und Zement.

Die klimafreundlichen Standardlösungen haben also für die Materialhersteller nur begrenztes Potential. Das ist ein Problem, entfällt global doch fast ein Viertel (23%) aller den Klimawandel verursachenden Treibhausgasemissionen auf die Herstellung von Materialien! Was tun? Eine relativ einfache Lösung ist, die Materialien effizienter zu nutzen. So könnte man, dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgend, weniger Materialien aus natürlichen Rohstoffen herstellen und stattdessen mehr recyceln. Materialeffizienz also. Doch was bedeutet das konkret? Materialeffizienz kann über mehrere Schritte erreicht werden:

  • Bessere Produktionsverfahren, die zu weniger Abfällen in der Verarbeitung führen, z.B. durch Weiterverwendung von Stanzresten in der Automobilherstellung
  • Bessere Sortiertechniken, um die Vielzahl der verwendeten Materialen in den Abfallströmen sauber trennen zu können
  • Direkte Wiederverwendung von Bauteilen und Fahrzeugteilen, um die beim Recycling anfallenden Verluste zu vermeiden
  • Längere Lebensdauer von Produkten, um unnötige Produktion und damit Materialverbrauch zu reduzieren
  • Kleinere und leichtere Produkte mit demselben Nutzeffekt, z.B. kleinere Autos
  • Verwendung klimafreundlicherer Materialien, z.B. Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft
  • Effizientere Verwendung der Produkte, z.B. durch Car-sharing oder Gemeinschaftsbüros

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, also muss, im übertragenen Sinne, zunächst erstmal ermittelt werden, wie groß das Emissionseinsparpotential durch Materialeffizienz in verschiedenen Produkten und Ländern überhaupt ist. Hier beginnt die wissenschaftliche Arbeit! Es müssen zunächst plausible Szenarien für die Zukunft erstellt werden: wie viele Menschen, Wohnungen, Autos, Straßen, etc. werden wir in Zukunft benötigen? Aus welchen Materialien werden diese wahrscheinlich bestehen? Wie viel Material sparen wir insgesamt ein, wenn wir das Produktdesign und die Nutzungsdauer ändern? Wenn wir mehr und mit höherer Qualität recyceln? Wenn wir Fahrzeuge, Produkte, Wohnflächen und Büros cleverer nutzen?

Zur Beantwortung dieser Fragen verwenden wir einen Mix aus Expertenwissen, groben Annahmen über die Zukunft (sog. Rahmenszenarien), und Berechnung konkreter Stoffflüsse von Stahl oder Aluminium. So wurde zum Beispiel ermittelt, dass durch besseres Recycling von Baumaterialien die Emissionen in diesem Bereich um zusätzliche 14-18% sinken könnten, also um ca. ein Sechstel. Leichtbau und die bevorzugte Verwendung von Holz könnten nochmals 8-10% bzw. 1-8% einsparen.

Die effizientere Nutzung von Autos und ein Trend hin zu kleineren Autos würde zunächst mal die Größe der PKW-Flotte verringern, was schon mal mehr Platz auf den Straßen schafft. Dadurch würden auch weniger Materialien benötigt, was insgesamt zu Emissionseinsparungen von 30-40% führen könnte, also ca. ein Drittel! Weitere 35-40% können durch hocheffiziente Fahrzeugproduktion (also fast ohne Produktionsabfälle) und sehr gutes Recycling eingespart werden.

Aus unseren Studien zur Klimawirkung von Materialeffizienz kann man ableiten, dass Materialeffizienz in das Spektrum der wichtigen Treibhausgasreduktionsstrategien aufgenommen werden sollte. Durch eine materialeffiziente Kreislaufwirtschaft kann die Abhängigkeit von riskanten oder teuren Strategien wie Kernkraft oder Kohlenstoffspeicherung und -lagerung verringert werden.

Interesse geweckt? Auf https://www.resourcepanel.org/reports/resource-efficiency-and-climate-change findet sich ein detaillierter Bericht zu einer wissenschaftlichen Studie zum Thema Materialeffizienz um Klimawandel, mit Fokus auf Wohngebäuden und Fahrzeugen. Für die oben aufgelisteten Strategien für effiziente Materialnutzung wurden die Einsparpotentiale für Treibhausgasemissionen in verschiedenen Ländern errechnet und in einer detaillierten Übersicht zusammengestellt. Für eilige Leser gibt es auch kurze Zusammenfassungen!

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Für Deutschland gibt es jetzt auch eine spezifische Fallstudie für das Gesamtpotential der verschiedenen Materialeffizienzstrategien in den drei Sektoren PKW, Wohn- und Nichtwohngebäude, welche zusammen für etwa die Hälfte aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sind [2]. Hierfür wurden umfangreiche Daten zum Bestand an Fahrzeugen und Gebäuden zusammengetragen und Szenarien für die zukünftige Entwicklung der Bestände und der Implementierung von Materialeffizienz entwickelt.

Ein zentrales Ergebnis ist die Abschätzung der zusätzlichen Emissionsreduktionen durch Materialeffizienz in Szenarien mit weit fortgeschrittener Energiewende (Abb. 1).

Abb. 1: Materialeffizienzkaskaden für die drei Sektoren Personenkraftwagen, Wohngebäude und Nichtwohngebäude zusammen.
Obere Reihe: systemweite Treibhausgase, untere Reihe: Treibhausgase für Materialproduktion und -recycling sowie die zugehörige Energieversorgung), linke Spalte:
jährliche Emissionen für 2050, rechte Spalte: kumulierte Emissionen 2016–2050.

Man sieht, dass alle betrachteten Strategien beitragen und dass Materialeffizienz in diesen Sektoren ‘on top’ noch Einsparungen von ca. 25% liefern kann. Besonders hoch ist das THG-Emissionseinsparpotential in den Vorketten, also der Materialproduktion für PKWs und Gebäude. Hier können fast drei Viertel aller Emissionen eingespart werden in 2050.

Die Auswirkungen der ME-Strategien auf die Materialproduktion für die Produktion von PKWs und den Bau von Gebäuden sind erheblich (Abb. 2). Für Stahl, Kupfer, Zement und Kunststoffe sind im Falle hoher Materialeffizienz ein massiver Rückgang der Primärproduktion (Materialproduktion aus natürlichen Ressourcen wie Erz) zu erwarten. Die Recyclingvolumina steigen teils erheblich – ein klarer Trend hin zu Mehr Kreislaufwirtschaft. Wir werden in solchen Szenarien auch deutlich mehr Aluminium brauchen, zum einen für leichtere Produkte (v.a. Fahrzeuge), zum anderen weil die Herstellung von Primäraluminium mit relativ geringem THG-Fußabdruck (z.B. im Vergleich zu Stahl), recht einfach und kostengünstig möglich ist.

Abb. 2: Jährliche Materialproduktion für die drei untersuchten Endverbrauchssektoren, SSP1-Szenario für Deutschland mit 2°C-kompatibler Klimapolitik. Links (dunklere Farben): Primärproduktion aus natürlichen Ressourcen, rechts (helle Farben): Sekundärproduktion aus Schrott und Wiederverwendung von Materialien in
Komponenten. Da die jährlichen Zahlen teilweise recht stark schwanken, wurde der Jahresdurchschnitt 2040–2050 geplottet.

Schließlich können wir die Materialeffizienz in das Spektrum der Klimastrategien einordnen (Abb. 3). Man sieht, dass zunächst vor allem durch Energieeffizienz (grün) sowie die Energiewende (blau) große THG-Reduktionen zu erwarten sind. Aber die (grauen) Sockelemissionen sind immer noch zu hoch, und müssen evtl. durch Negativemissionstechnologien kompensiert werden, wie die direkte Entnahme von CO2 aus der Luft und dessen anschließende Speicherung. Hier kann Materialeffizienz (orange und rot) Abhilfe schaffen.

Abb. 3: Aufschlüsselung der systemweiten Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 in Energieeffizienz (grün), Energieversorgung (blau) und industrie-
und nachfrageseitige Materialeffizienz (Orange und Rot) für die drei Endverbrauchssektoren PKW, Wohn- und Nichtwohngebäude in Deutschland. Die beiden rot gefärbten Segmente umfassen die industrielle Materialeffizienz (ME): Recyclingeffizienz, Fertigungsausbeute, Materialauswahl und Wiederverwendung. Die nachfrageseitige ME beinhaltet Lebensdauerverlängerung, Leichtbau und kleinere Produkte, Carsharing, Mitfahrgelegenheiten und intensivere Gebäudenutzung.

Für weitere Infos wird auf den dazugehörigen Artikel [2] sowie die dazugehörige Modelldokumentation [3] verwiesen.

Literatur:

[1] https://www.resourcepanel.org/reports/resource-efficiency-and-climate-change IRP (2020). Resource Efficiency and Climate Change: Material Efficiency Strategies for a Low-Carbon Future. Hertwich, E., Lifset, R., Pauliuk, S., Heeren, N. A report of the International Resource Panel. United Nations Environment Programme, Nairobi, Kenya.

[2] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jiec.13091

[3] https://onlinelibrary.wiley.com/action/downloadSupplement?doi=10.1111%2Fjiec.13091&file=jiec13091-sup-0001-SuppMat1.pdf

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