Regionale nachhaltige Ernährung – Wieviel geht?

Regionale Lebensmittelversorgung, ökologischer Landbau und nachhaltigerer Lebensmittelkonsum sind drei zentrale Strategien zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Landwirtschaft. In Baden-Württemberg (11 Millionen Einwohner) gibt es eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Anreizen zur Förderung dieser drei Strategien, aber quantitative Bewertungen des tatsächlichen Potentials dieser Strategien im Ländle fehlt. Mit ihren Masterarbeiten in der Gruppe Nachhaltiges Energie- und Stoffstrommanagement haben Christian Buschbeck, Larissa Bitterich, und Christian Hauenstein jetzt einen Teil dieser Forschungslücke geschlossen, indem sie eine detaillierte Datenbank entwickelt und Optimierungsrechnung durchgeführt haben, die folgende Fragen beantworten:

  • Auf welchen landwirtschaftlich genutzten Flächen (Acker und Weideland klassifiziert nach Temperatur, Niederschlag und Hangneigung; Obst- und Weinbauflächen wurden nicht berücksichtigt) lassen sich welche Feldfrüchte in welchen Fruchtfolgen anbauen?
  • Wie groß sind die durchschnittlich zu erwartenden Umweltauswirkungen des Anbaus der verschiedenen Feldfrüchte auf den verschiedenen Landklassen, differenziert nach Anbaumethoden (konventionell und biologisch).
  • Welcher Anteil des Nahrungsbedarfs der Bevölkerung in BW kann mit regionalen landwirtschaftlichen Produkten maximal gedeckt werden? Wie hängt dieser Anteil von verschiedenen Ernährungsszenarien und Anbaumethoden ab?
  • Wie ändert sich der oben ermittelte Maximalanteil, wenn neben der regionalen Versorgung auch andere, umweltbezogene Nachhaltigkeitsziele mit einbezogen werden, vor allem Klimaschutz, Bodenversauerung, Eutrophierung und Ökotoxizität (schädliche Wirkung von Chemikalien auf die belebte Umwelt [2])?

Frage 1 wurde durch eine von Larissa aus mehreren öffentlichen Quellen zusammengestellte GIS-Datenbank beantwortet. Aus Big Data für Landnutzung, Bodentiefe, Steingehalt, Grundwasserspiegel und Hangneigung entstand so eine ortsaufgelöste Datenbank mit ca. 320000 Ackerflächen in einem 60×60 m-Raster, welche durch Zusammenfassung der Flächen mit gleichen Fruchtfolgemöglichkeiten in 137 verschiedene Landnutzungsklassen aggregiert wurde. Die fünf größten so ermittelten Landklassen machen 78% des gesamten Ackerlandes aus (808615 ha).

Frage 2 wurde von allen drei mit einer gründlichen Recherche in allen Verfügbaren Ökobilanzdatenbanken angegangen, und es wurden die Datensätze der AGRIBALYSE-Datenbank ausgewählt [3], da diese untereinander konsistent sind und für viele relevante Feldfrüchte auch zwischen biologische und konventioneller Landwirtschaft unterscheiden.

Frage 3 ist tricky, denn was nimmt man als Maßeinheit? Masse ist schlecht, weil z.B. Butter und Gurken sehr unterschiedliche Energiedichten haben und so ein massenbasierter Indikator nicht aussagekräftig wäre. Kalorienbasiert ist auch schlecht, weil die Berechnung dann einfach die Versorgung mit leicht zu produzierenden Kohlenhydraten bevorzugen würde. Um der Natur des Problems, nämlich der Frage des Flächenbedarfs für eine nachhaltige Landwirtschaft, gerecht zu werden, wurde konsequenterweise auch ein flächenbasierter Indikator als Maß für die Selbstversorgungsrate gewählt. Die von uns definierte Selbstversorgungrate entspricht dem Anteil der in BW liegenden Ackerflächen für die Versorgung der Gesamtbevölkerung von BW unter einem bestimmten Ernährungsszenario (Status quo, vegetarisch, vegan, definiert vor allem von Christian H) und wird ermittelt, indem alle verfügbaren Ackerflächen in BW prioritär genutzt werden. Für diesen Flächenindikator für die Selbstversorgung wurden Werte zwischen 60% und 65% ermittelt, so dass also Importe von Nahrungsmittel in allen Szenarien erforderlich sind, was vor allem an der relativen hohen Bevölkerungsdichte und dem hohen Waldanteil in der Flächennutzung liegt.

Frage 4 wurde mittels einer von Christian B entwickelten und implementieren multikriteriellen Optimierung beantwortet. Bei dieser Methode werden die Ackerflächen nicht nur bez. der Maximierung eines Zielindikators verteilt, sondern es werden mehrere Zielindikatoren gleichzeitig betrachtet (hier: Klimawandel CC, Selbstversorgungsrate LSS, Ökotoxizität TET, Bodenversauerung TAC und Eutrophierung ME). Für jeden dieser Zielindikatoren wurden Akzeptanzklassen definiert (desirability classes), so dass über die Performance einer möglichen Landallokation für die verschiedenen Zielindikatoren bezüglich dieser Klassen eine Gesamtperformance ermittelt werden kann, obwohl die einzelnen Ziele völlig unterschiedliche Maßgrößen und Einheiten haben und somit nicht kommensurabel sind (also zusammenrechenbar, wie die verschiedenen Posten einer Kostenrechnung). Untenstehende Abbildung zeigt, wie stark das Optimum der multikriteriellen Optimierung (MO optimum) von den Auswirkungen der Szenarien mit maximaler Selbstversorgung (max LSS) abweicht (Abb. 1). D.h. die derzeitigen Anbautechniken, sowohl konventionell als auch biologisch, verursachen negative Umweltauswirkungen in einer Größenordnung, die das Erreichen der staatlichen Umweltschutzziele unmöglich machen, so dass ein Kompromiss gefunden werden muss, der dann aber auch eine geringere Versorgung der Bevölkerung mit regionalen Lebensmittel nach sich zieht, als dies maximal der Fall sein könnte.

Abbildung 1. Radardiagramm zum Vergleich der optimalen Lösung für maximale regionale Selbstversorgung (schwarz) mit der optimalen Lösung unter Einbeziehung weiterer Umweltauswirkungskategorien: (hier: Klimawandel CC, Selbstversorgungsrate LSS, Ökotoxizität TET, Bodenversauerung TAC und Eutrophierung ME), (rot). Für jedes der drei untersuchten Nachfrageszenarien ist ein Diagramm gezeichnet. Die Auswirkungen des Übergangs von einem Zustand maximaler Selbstversorgung zum multikriteriellen Optimum sind offensichtlich: Die Einbeziehung weiterer Wirkungskategorien führt zu weniger intensiver Landwirtschaft und damit geringerer Selbstversorgung. Im veganen Nachfrageszenario ist die Differenz für die Selbstversorgung zwischen einzel- und multikriterieller Optimierung am geringsten, da eine vegane Diät tendenziell weniger Umweltauswirkungen hat, und somit die Umweltziele auch mit einer relativ hohen Selbstversorgungsrate erreicht werden können.”

 

In der Debatte um regionale Versorgung wird das Thema der Spezialisierung bestimmter Anbauregionen auf bestimmte landwirtschaftliche Produkte und Märkte oft außer Acht gelassen. Dem Wunsch nach gesünderen Stadt-Land-Beziehungen, u.a. durch regionale nachhaltige Landwirtschaft vermittelt, steht oft die ökonomische Vernunft entgegen. Aufgrund des recht geringen Anteils von Transport in Gesamtkosten und Klimabilanz für viele landwirtschaftliche Produkte macht eine überregionale Vermarktung bestimmter Produkte und der Import aus anderen Regionen durchaus Sinn und ist für BW ohnehin erforderlich, da weder die Flächen für eine komplette Selbstversorgung vorhanden sind (Frage 3) noch eine maximal mögliche Selbstversorgung zum Erreichen staatlicher Umweltziele führt (Frage 4). Die Frage nach der Bedeutung regionaler Versorgung mit Lebensmitteln muss also auch im Lichte der Ergebnisse dieser Studie weiter differenziert diskutiert werden, s. auch [4-6]. Endverbraucher können durch ihr Konsumverhalten auch wesentlich zu einer Systemänderung beitragen: Vor allem über die Reduktion des Fleischkonsums, aber auch durch Verwendung saisonaler und Vermeidung von lange gekühlter Ware.

Die gesamte Arbeit gibt es auf Englisch zum Nachlesen [1]. Der Erstautor der Studie, Christian Buschbeck (christian.buschbeck@indecol.uni-freiburg.de) steht als Ansprechpartner zur Verfügung.

Literatur:

[1] Buschbeck, C., Bitterich, L., Hauenstein, C., & Pauliuk, S. (2020). Multi-objective optimization identifies trade-offs between self-sufficiency and environmental impacts of regional agriculture in Baden-Württemberg, Germany. Journal of Agriculture, Food Systems, and Community Development. Advance online publication. https://doi.org/10.5304/jafscd.2020.101.003

[2] https://roempp.thieme.de/lexicon/RD-15-00311

[3] https://nexus.openlca.org/database/Agribalyse

[4] https://www.forum-wirtschaftsethik.de/nachhaltigkeit-durch-regionalitaet-pro-und-contra/

[5] http://www.oeko-fair.de/clever-konsumieren/essen-trinken/regional-einkaufen/vorteile-fuer-den-verbraucher/vorteile-fuer-den-verbraucher2

[6] https://blog.lavita.de/warum-regional/

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *