Fehlanzeige: Keine Aufnahme der Grundlagenaspekte der Nachhaltigkeitswissenschaften in den Fächerkanon der DFG

Mit einem offenen Brief an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) haben mehr als 50 deutsche Nachhaltigkeitswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler im Jahr 2017 auf einen Missstand im Fächerkanon der DFG hingewiesen: Das Fehlen der verschiedenen Zweige der Nachhaltigkeitswissenschaften und insbesondere deren Grundlagenaspekte.

Warum ist das ein Problem? Weil es wichtig ist, dass auch für die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeitswissenschaften Grundlagenforschung betrieben werden kann, die zum einen die Voraussetzung für solide Transformationsforschung legt und zum anderen unabhängig von politischen Vorgaben ist.

Die Kernaussagen des Briefes, welcher _hier_ in voller Länge nachzulesen ist, sind:

+ Die interdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaften haben sich als Forschungsgebiete mit eigener Grundlagenforschung international und in Deutschland etabliert. Beispiele sind: Datenmodelle und –Ausgleichsrechnung für Sozio-metabolische Systeme, Methodenentwicklung der Umweltbewertung/Ökobilanz, Diskursanalyse der Energiewende und anderer Nachhaltigkeitstransformationen, oder die Einbettung industrieller System in natürliche Stoffkreisläufe.

+ Ein großer Teil der Grundlagenforschung für interdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften findet nicht mehr innerhalb der traditionellen Disziplinen statt, sondern in neu entstandenen wissenschaftlichen Communities. Beispiele für neue Communities sind: Industrial Ecology, Life Cycle Engineering and Management, Ecological Economics, Integrated Assessment Modelling, Humanökologie und sozial-ökologische Forschung.

+ Mitglieder dieser Communities können regelmäßig ihre interdisziplinären Forschungsthemen im Fächerkanon der DFG nicht verorten. Das heißt systematische Benachteiligung bei Mittelvergabe und Entscheidungsfindungen. Andere Förderer exzellenter Forschung, wie z.B. der Europäische Forschungsrat (ERC), bilden mit ihrer Panelsystematik einerseits interdisziplinäre Themen bereits stärker ab und sind andererseits auch flexibler und dynamischer in Bezug auf die thematische Abgrenzung.

+ Aufgrund hoher Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik sowie schwacher institutioneller Strukturen in den interdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaften kommt die Förderung der Grundlagenforschung oft zu kurz, was den wissenschaftlichen Fortschritt in diesen hochrelevanten Bereichen unnötig bremst. Dieser Mangel an grundlegender Forschungsförderung hat außerdem gravierende Auswirkungen auf die Qualität der Nachhaltigkeitsforschung. Es mangelt unter anderem an offenen und transparenten disziplinübergreifenden Datenbanken zu industriellen Prozessen, Landwirtschaft, und urbanen Systemen, was dazu führt, dass viele Forschungsarbeiten auf Annahmen oder schlechten Proxydaten beruhen. Es gibt wenige Förderung und Anreize für einzelne ForscherInnen und Forschergruppen zur kumulativen Wissensbasis beizutragen. Dieser Mangel an Anreizen bremst den wissenschaftlichen Fortschritt, was insbesondere angesichts des immer kleiner werdenden Zeitfensters zur wirkungsvollen Bekämpfung des Klimawandels und eines wirksamen Ressourcenschutzes problematisch erscheint.

Die Argumentation schließt mit folgender Feststellung: „Die Aufnahme der Nachhaltigkeitswissenschaften in den Fächerkanon der DFG kann wesentlich dazu beitragen, die Grundlagenforschung zur nachhaltigen Entwicklung in der deutschen Forschungslandschaft zu stärken“, gefolgt von drei konkreten Vorschlägen, wie die Grundlagenaspekte der Nachhaltigkeit in die Gebiete „Geistes- und Sozialwissenschaften“, „Lebenswissenschaften“, „Naturwissenschaften“ und „Ingenieurwissenschaften“ einfließen könnten. Wir haben um einen Dialog gebeten und Ansprechpartner benannt.

Leider ist die DFG auf dieses Angebot zum Dialog nicht eingegangen. 13 Montage nach Eingang des Briefes bei der DFG kam eine knappe Antwort, in der „um Verständnis“ gebeten wird, falls ein „mit o.g. Schreiben vorgetragenes Anliegen bei der Entscheidung des Senats nicht oder nicht in vollem Umfang Berücksichtigung gefunden haben sollte.“ Das war’s, zumindest über die offiziellen Kanäle.

Uns liegt eine detaillierte, aber nicht offiziell abgesegnete Antwort vor, aus der hervorgeht, dass es innerhalb der DFG durchaus eine ausführliche Debatte gab. Dennoch haben sich die Fachkollegien einheitlich nicht für eine Empfehlung zur Aufnahme der „Nachhaltigkeitswissenschaften“ oder einzelner Bereiche in die Fächerstruktur der DFG ausgesprochen. “Nachhaltigkeitswissenschaften hätten sich (noch) nicht als eigene Wissenschaftsdisziplin etabliert, das Antragsaufkommen sei bislang zu gering und die eingehenden Anträge würden bisher in den existierenden Fachkollegien umfassend und kompetent verhandelt werden.” Auch wurde festgestellt, dass die Anzahl der derzeit gestellten Anträge auf dem Gebiet der Nachhaltigkeitswissenschaften zu niedrig ist, um eine Einrichtung einzelner Fachkollegien oder Fächer zu rechtfertigen, und dass die DFG hier möglicherweise nicht als Förderer wahrgenommen werde.

Für die Nachhaltigkeitswissenschaften in Deutschland ist das kein gutes Signal und auch nicht für die Gesellschaft, die von den wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren soll.

Dennoch kann man aus der ausführlichen Antwort der DFG die Aufforderung an die Community ableiten, in Zukunft mehr entsprechende Anträge mit hoher Qualität zu stellen, und das müssen wir auch tun!

Vorschläge, wie der Prozess weiter vorangetrieben werden könnte, sind jederzeit willkommen!

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