Die deutsche Volkswirtschaft muss sich mindestens doppelt so schnell vom CO2 verabschieden wie bisher, wenn die Klimaziele für 2050 erreicht werden sollen

[English summary below]

Als reiches Land mit hohen CO2-Emissionen pro Kopf trägt Deutschland eine besondere Verantwortung für die Bekämpfung des Klimawandels. Diese Verantwortung schlägt sich in den Klimaschutzzielen der Bundesregierung nieder, welche eine Reduktion der landesweiten Treibhausgasmissionen von 40% über den Zeitraum 1990-2020 vorsieht [1]. Das Reduktionsziel für 2050 beträgt sogar 85-95% [1], was in der Praxis bedeutet, dass sich die deutsche Volkswirtschaft praktisch vollständig von fossilen Brennstoffen verabschieden muss.

Die Zielmarke von 40% wird im Jahr 2020 allerdings nicht erreicht, da die Gesamtemissionen während der letzten acht Jahre annähernd stabil geblieben sind (bei ca. 900-920 Megatonnen (Mt) pro Jahr), die Zielmarke für 2020 ist jedoch 751 Mt [2]! Das Ziel von 63 … 188 Mt im Jahr 2050 scheint angesichts der derzeitigen Stagnation eine Utopie. Es ist klar, dass erhebliche Anstrengungen weit über den Energiesektor hinaus nötig sind, um die Emissionen von Treibhausgasen weiter zu senken, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen.

Es geht nicht mehr darum, einzelne Sektoren auf emissionsarme Technologien umzustellen, sondern die Volkswirtschaft als Ganzes. Jeder erwirtschaftete Euro muss im Schnitt deutlich weniger CO2-Emissionen verursachen, als dies heute der Fall ist.

Hier soll folgende Frage beantwortet werden: Ist die Rate, mit der sich die Volkswirtschaft von Klimagasen seit 1990 abgekoppelt hat, ausreichend, um die Ziele für 2050 zu erreichen?

Eine Antwort auf diese Frage liefert die IPAT-Gleichung [3]. Diese Bilanzgleichung der Umweltauswirkungen einer Volkswirtschaft stellt die Größen Umweltauswirkung (Impact I), Bevölkerung (Population P), Wohlstand (affluence A) und Technologie T wie folgt in Beziehung:

I = P · A · T

Diese Gleichung wird als Bilanzgleichung aus den drei Größen I, P und Bruttoinlandsprodukt BIP gebildet, und ist damit immer erfüllt, da sich P und BIP jeweils wegkürzen:

I = P · (BIP/P) · (I/BIP)

BIP/P ist das pro-Kopf Einkommen A, und I/BIP ist die durchschnittliche Emissionsintensität der Volkswirtschaft T. Für die CO2-Emissionen bedeutet das konkret (Einheiten wurden bereits umgerechnet):

I [kt CO2] = Bevölkerung P [Millionen] · pro-Kopf-Einkommen A  [EUR]· T [kg CO2/EUR]

 

Wir stellen zunächst die IPAT-Gleichung für Deutschland für die Jahre 1990 (Referenzjahr) und 2017 (letzte verfügbare Daten) auf:

I (CO2) = P A T
kt/yr Millionen 2011 I$/cap/yr kg CO2-eq/2011 I$
1990 1250900 79.118 31287 0.51
2017 904700 82.522 45229 0.24

Dabei stammen die Emissionswerte I (1251 Mt für 1990 und 904,7 Mt für 2017) vom Umweltbundesamt [2][4], die Bevölkerungszahlen von den UN und dem Statistischen Bundesamt [5][6] und die Werte für das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf von der Weltbank [7] (in der Standardeinheit International Dollar 2011). Da I, P und A durch empirische Daten gegeben sind, kann T mittels T = I/(P·A) direkt ausgerechnet werden.

Während eine gewisse Menge BIP im Jahr 1990 noch durchschnittlich 0.51 kg CO2/I$ Treibhausgasemissionen verursachte, waren es im Jahr 2017 nur noch 0.24  kg CO2/I$. Dieser Rückgang entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Reduktionsrate von T von 2,7 %. Das heißt, dass die deutsche Volkswirtschaft in den vergangenen 27 Jahren pro Jahr im Durchschnitt 2.7% CO2-effizienter geworden ist. Hier spielen vor allem der Umbau der Industrie in der ehemaligen DDR sowie die Energiewende eine große Rolle, aber auch eine Unzahl von effizienzsteigernden Maßnahmen in den verschiedenen Industriesektoren sowie die teilweise Verlagerung von CO2-intensiven Produktionszweigen ins Ausland.

Welche Effizienzsteigerung ist nun für die kommenden 33 Jahre bis 2050 nötig? Hierzu betrachten wir vier Szenarien: Zum einen die zwei Endpunkte des Reduktionszielspektrums für 2050: -85% und -95%, und zum anderen zwei Wachstumsszenarien: Wirtschaftswachstum wie bisher (durchschnittlich 1.4% pro Jahr, kaufkraftbereinigt), und Nullwachstum.

I P A T Rate T
kt/yr Millionen 2011 I$/cap/yr kg CO2-eq/ 2011 I$ %
1990 1250900 79.118 31287.07 0.51
2017 904700 82.522 45229 0.24 -2.7
2050 min 62500 79.238 70963 0.011 -8.9
2050 max 187600 79.238 70963 0.033 -5.8
2050 min, Nullwachstum 62500 79.238 45229 0.017 -7.7
2050 max, Nullwachstum 187600 79.238 45229 0.052 -4.5

 

Die 2050-Werte für I entsprechen den Klimaschutzzielen, das Bevölkerungsszenario kommt von der UN [5], und das BIP pro Kopf entspricht den beiden Szenarien „Wachstum wie bisher“ und „Nullwachstum“. Daraus wird dann T berechnet, und aus der Änderung von T zum derzeitigen Stand (0.24 kg CO2/I$) die nötige jährliche Änderungsrate.

Man sieht, dass selbst im für das Klima optimistischsten Szenario (nur 85% Reduktion bei Nullwachstum) eine jährliche Dekarbonisierungsrate der Volkswirtschaft von ca. 4.5% nötig ist, also das 1.7-fache des historischen Wertes (ganz rechte Spalte). Für Szenarien mit Wachstum muss sich die Rate mindestens verdoppeln (für -85%) oder sogar mehr als verdreifachen (für -95%)!

Ein „weiter so wie bisher“ ist also völlig unzureichend!

 

Die Anwendung der IPAT-Gleichung auf die Klimaziele stammt aus dem Buch „Prosperity Without Growth“, auf deutsch „Wohlstand ohne Wachstum“, von Tim Jackson [8], und wurde hier an die Werte für Deutschland angepasst. Die Anwendung der IPAT-Gleichung stellt eine starke Vereinfachung dar, und es ist durchaus zu erwarten, dass es durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien zu einer zeitweise sehr starken Änderung des T-Faktors kommen kann, s. dazu Quelle [9] für eine ausführliche Darstellung.

English Summary: During the period 1990-2017, Germany’s economy decarbonised by about 2.7% per year. Despite continuous economic growth, national greenhouse gas emissions have fallen from 1250 Mt/yr in 1990 to ca. 905 Mt/yr in 2017, which is remarkable but likely to fall short of the 2020 national target of 751 Mt/yr. A calculation with the IPAT equation [3] shows that, in order to reach the 2050 climate targets, the rate at which the German economy must decarbonize has to increase substantially: from historically 2.7% p.a. to 4.5 … 7.7 % p.a. for a steady state economy to 5.8 … 8.9 % p.a. for a continuously growing economy. That means that the annual decarbonisation rate quickly needs to double or even triple under the most ambitious emissions reduction scenarios. Decarbonisation business as usual is no longer sufficient! Cf. also ref. [9] for a detailed reasoning why rapid changes of the T factor of the IPAT equation may indeed occur in the near future.

 

Quellen

Alle Internetseiten wurden am 6.7.2018 besucht.

[1] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutz_in_zahlen_klimaziele_bf.pdf

[2] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/01-klima_klim-01_emission-treibhausgase_abbildung_datentabelle.pdf

[3] https://en.wikipedia.org/wiki/I_%3D_PAT

[4] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/klimabilanz-2017-emissionen-gehen-leicht-zurueck

[5] https://esa.un.org/unpd/wpp/DVD/Files/1_Indicators%20(Standard)/EXCEL_FILES/1_Population/WPP2017_POP_F01_1_TOTAL_POPULATION_BOTH_SEXES.xlsx

[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1217/umfrage/entwicklung-der-gesamtbevoelkerung-seit-2002/

[7] https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.PP.KD?locations=DE

[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Prosperity_Without_Growth

[9] https://www.ineteconomics.org/perspectives/blog/growth-with-decarbonization-is-not-an-oxymoron [visited Dec 30, 2018]

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