Die Höhe der tatsächlichen CO2-Emissionen und die sonstigen Umweltauswirkungen von Elektromobilität sind derzeit ein heiß diskutiertes Thema.* Die Diskussion findet vor dem Hintergrund der laufen Koalitionsverhandlungen statt. Außerdem wird langsam klar, dass Deutschland sein Ziel, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bekommen, wahrscheinlich verfehlen wird.
Um es klarzustellen: Die derzeitige Diskussion um die Klimaauswirkungen von Elektromobilität wurde nicht durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse ausgelöst. Der für E-Autos oft verwendete Euphemismus „emissionsneutral“ ist Bullshit und lässt jedem Nachhaltigkeitswissenschaftler seit jeher das Lächeln gefrieren, zumal Mitteleuropas derzeitige Stromproduktion ja nicht nur zu erheblichen CO2-Emissionen führt, sondern auch wesentlicher Verursacher einer Reihe anderer emissionsgetriebener Umweltprobleme, z.B. der Feinstaubbelastung, ist.
Abbildung: So einfach ist Nachhaltigkeit! Werbe-Tweet von BMW. Quelle: BMW/Twitter.
Aus Sicht der Umweltsystemwissenschaften ist die Transport-Strom-Klima-Kopplung gut erforscht und mit Publikationen hinterlegt, z.B. (Hawkins et al., 2013; Öko-Institut, 2011; Öko-Institut, 2017; Schallaböck and Fischedick, 2011; Timpe et al., 2017; Teufel et al., 2017; Wilson, 2013). Was sonst haben die NachhaltigkeitswissenschaftlerInnen die letzten 50 Jahre über wohl getrieben? Die Botschaft steht also, aber natürlich können wir durch bessere und aktuellere Daten die Systemauswirkungen neuer Technologien immer genauer quantifizieren und so robustere Abschätzungen der tatsächlichen zu erwartenden Umweltauswirkungen von verschiedenen Mobilitätsmustern liefern.
Zum Problem: Eine Million E-Autos auf der Straße würden den Stromverbrauch im Land um etwa 1 Prozent ansteigen lassen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass aufgrund des sogenannten Merit-Order-Mechanismus und der derzeitigen Kostenstruktur der einzelnen Technologien ein guter Teil dieses Stroms in Braunkohlekraftwerken erzeugt würde. Das hat drei Gründe: zum Ersten der stockende Ausbau der Stromgewinnung aus erneuerbaren Quellen und des Netzes, zum Zweiten die Mechanismen des Strommarktes und die Preisstruktur der Stromanbieter, die derzeit dazu führen, das zusätzlicher Strombedarf überwiegend mit Braunkohlenkraftwerken gedeckt wird, und zum Dritten das oft notwendige nächtliche Laden der E-Autos, was mangels Sonnenlicht und Wind wiederum zu erhöhter Stromerzeugung aus fossilen Quellen führt.
Ein mit Braunkohlestrom betriebenes Elektroauto hat eine schlechtere Klimabilanz als ein Diesel oder Benziner (Hawkins et al., 2013). Soll heißen, dass die Gesamt CO2– Methan-, und N2O-Emission aus Herstellung, Betrieb, Verschrottung und Recycling eines E-Autos mit Kohlestrom deutlich größer ausfallen können als die der benzin-oder dieselgetriebenen Alternativen. Ein kurzfristiges Anwachsen der E-Autoflotte würde also mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem vorübergehenden Zuwachs an CO2-Emissionen führen, ein Großteil davon durch erhöhte Kohlestromproduktion in Deutschland. Somit finden wir uns in einer bizarren Situation wieder, in der das Verfehlen eines sektoralen Klimaziels weniger klimaschädlich als sein Erreichen ist.
Was tun?
Klar könnten die E-Autobesitzer alle ‚Ökostrom‘ beziehen, aber das hieße noch lange nicht, dass auch mehr Ökostrom produziert würde, sondern nur, dass eine entsprechende zusätzliche Menge Ökostromzertifikate zugekauft werden müsste. Diese würden dann typischerweise von den norwegischen Wasserkraftwerksbetreibern erstanden werden, die im Gegenzug Atomstrom- und Braunkohlestromzertifikate kaufen würden und diesen ‚schmutzigen Strom‘ problemlos absetzen könnten, weil sich die überwiegende Mehrheit der norwegischen Endverbraucher um Zertifikate keine Gedanken macht. Warum auch, haben sie doch zu über 90% Strom aus Wasserkraft in der Steckdose! [Kann man hier nachlesen, allerdings auf Norwegisch: https://www.nve.no/elmarkedstilsynet-marked-og-monopol/varedeklarasjon/nasjonal-varedeklarasjon-2016/].
Der Beitrag einer E-Fahrzeugflotte zum Klimawandel wird vom tatsächlich zusätzlich produzierten Strom bestimmt und nicht vom Handel mit Zertifikaten. Letzterer würde nämlich nur dann einen starken Klimaeffekt haben, wenn tatsächlich niemand mehr die Braunkohlestromzertifikate kaufen würde, und Braunkohlekraftwerke somit auch tatsächlich weniger produzieren würden. Dies wäre bei einem spürbar höheren Preis der CO2-Zertifikate der Fall, also kaum vor 2020.
Benötigt werden also Mechanismen, die dafür sorgen, dass einer wachsenden Flotte von E-Autos auch ein wachsendes Angebot an klimafreundlichem Strom aus erneuerbaren Quellen gegenübersteht. Dann verbessert sich die Klimabilanz dieses Transportmodus entsprechend, und Einsparungen im Vergleich zum Diesel oder Benziner können bis zu 76% betragen, wie ForscherInnen des Öko-Instituts mittels einer Ökobilanz ermittelt haben (Timpe et al., 2017). Eine lesenswerte Übersicht der Bedeutung der Ökobilanzierung für die Bewertung der Elektromobilität findet sich in diesem Beitrag von Christopher Schrader.
Langsam sollte jedem deutlich werden, dass nachhaltige Entwicklung und nachhaltiges Leben nicht an einzelnen Produkten oder Industriesektoren festgemacht werden können.
Nachhaltigkeit ist eine Systemeigenschaft, keine Produkteigenschaft!
Die Wendungen „nachhaltige Produkte“ oder „nachhaltige Materialien“ beinhalten Wunschdenken. Die Verwendung dieser Phrasen sollte unterbleiben, da sie nicht erfüllbare Erwartungen suggerieren.
Lemma:
Nachhaltiger Verkehr ist keine Sache von „richtigen Fahrzeugen“ sondern erfordert eine Systemlösung und eine entsprechende Politik.
Beispiele für Systemlösungen im Transportbereich sind:
- Ganz allgemein: Koordinierter Umbau von Energieversorgung und -verbrauch, inkl. des Wechsels von Hauptenergieträgern in einzelnen Sektoren und der digitalen Vernetzung aller größeren Verbraucher (smart grid).
- Einsatz von Elektroautos in Gegenden, wo viel teils überschüssiger Wind- und Solarstrom verfügbar ist, kombiniert mit Geschäftsmodellen, welche die Ladezeiten mit den Angebotszeiten von Ökostrom möglichst gut zur Deckung bringen.
- Die Hersteller von E-Autos engagieren sich im Ausbau erneuerbarer Energien, deren Speicherung und des Netzes, so dass der wachsenden Flotte eine angepasste Stromerzeugung gegenübersteht. Mobilitätsdienstleistungen, nicht Fahrzeuge, werden verkauft.
- Ein Umdenken in der Verkehrs- und Siedlungspolitik bezüglich weniger klima- und umweltschädlicher Transportmuster durch Flächennutzungsplanung und die daran angepasste Entwicklung von Verkehrsinfrastruktur.
- Die komplementäre Entwicklung von integrierten Alternativen, z.B. die Kette Ökostrom-Wasserstoff-Flüssigtreibstoff-Verbrennungsmotor.
Wir brauchen mehr Systemdenken in Politik und Gesellschaft!
Systemdenken ist anstrengend und die möglichen Lösungen sind oft sehr vielfältig, mit komplizierten Abhängigkeiten und Wechselwirkungen. Das Erreichen ambitionierter Klimaziele wird alles andere als einfach werden. Die derzeitige Diskussion um die Klimabilanz der Elektromobilität steht beispielhaft für viele Debatten, die wir in der Zukunft noch werden führen müssen.
Wem das zu kompliziert ist, der kann ja abrüsten und auf’s Fahrrad umsatteln, wie die zwei Herren hier im Bild. Ist gesünder und weniger umweltschädlich. Ernsthaft!
Abbildung: Ein E-Bike gegen Ende des 19. Jh. Die geringe Energiedichte der lange Zeit alternativlosen Bleiakkus hat den Vormarsch des Verbrennungsmotors ermöglicht.
Nachtrag: Ich bin in der glücklichen Lage, durch meine Forschung zu einem umfassenden Systemverständnis der nachhaltigen Entwicklung beitragen zu können. Ich vermittle dieses Verständnis in meinen Publikationen und meiner Lehre, insbesondere in den Kursen „Nachhaltiges Energie- und Stoffstrommanagement“, „Energy and Sustainability“ und „Life Cycle Management“, die ich auf Masterniveau unter Mitarbeit von Rainer Grießhammer und Ernst Ulrich von Weizsäcker unterrichte. Hier wird den Studierenden das hier beschriebene Systemdenken vermittelt und anhand einer Reihe von relevanten Beispielen illustriert und eingeübt, darunter auch die Schnittstelle von Klima, Strom und Mobilität.
*)
http://www.zeit.de/mobilitaet/2017-11/elektromobilitaet-emissionen-elektroautos-kritik
http://www.spektrum.de/news/wie-ist-die-umweltbilanz-von-elektroautos/1514423
Referenzen
Hawkins, T.R., Singh, B., Majeau-Bettez, G., Strømman, A.H., 2013. Comparative Environmental Life Cycle Assessment of Conventional and Electric Vehicles. J. Ind. Ecol. 17, 53–64.
Öko-Institut, 2011. Autos unter Strom. Öko-Institut e.V., Berlin.
Öko-Institut, 2017. Elektromobilität – Fakten check Fragen und Antworten [WWW Document]. URL https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/FAQ_Elektromobilitaet_Oeko-Institut_2017.pdf (accessed 7.11.17).
Schallaböck, K.O., Fischedick, M., 2011. Strommix beim Betrieb von Elektrofahrzeugen. Wuppertal Institute, Wuppertal, Germany.
Teufel, D., Arnold, S., Bauer, P., Schwarz, T., 2017. Ökologische Folgen von Elektroautos. Ist die staatliche Förderung von Elektro – und Hybridautos sinnvoll? UPI Umwelt – und Prognose – Institut e.V., Heidelberg.
Timpe, C., Bracker, J., Hacker, F., Haller, M., Kasten, P., Schierhorn, P.-P., Martensen, N., 2017. Handlungsbedarf und – optionen zur Sicherstellung des Klimavorteils der Elektromobilität. Öko-Institut e.V., Freiburg.
Wilson, L., 2013. Shades of Green: Electric Cars’ Carbon Emissions Around the Globe [WWW Document]. URL http://shrinkthatfootprint.com/electric-car-emissions%0A (accessed 11.4.17).